Ist bidirektionales Laden die Zukunft?

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Lesedauer: 7 Minuten
Beitragsbild für bidirektionales Laden

Immer mehr Menschen schalten um auf Elektromobilität. Die Photovoltaik-Leistung soll in Sachsen bis zum Ende der Legislaturperiode nahezu verdoppelt werden (siehe Energie- und Klimaprogramm). Bidirektionales Laden klingt da attraktiv: Statt bloß zum Aufladen vor der Fahrt das E-Auto an die Steckdose zu stecken, kann es so auch gleich als Batterie für die selbst erzeugten Erneuerbaren Energien fungieren. Das E-Auto als Stromspeicher! Aber ist das wirklich so einfach? Wir erklären, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und haben mit dem Experten Claudius Jehle vom Batteriediagnoseunternehmen volytica über die Vor- und Nachteile gesprochen.

 

WAS IST BIDIREKTIONALES LADEN?

Bidirektionales Laden funktioniert nur bei Gleichstrom (DC). Wenn dieser vorliegt, ist es die „natürliche“ Form, wie Strom fließt. Bidirektionales Laden bedeutet, dass Energie in beide Richtungen ausgetauscht werden kann. Das E-Auto kann also nicht nur beladen, sondern auch entladen werden. In vielen Fällen ist das jedoch nicht gewünscht: Das Auto soll den Strom ja nicht wieder abgeben, sondern durchs Fahren verbrauchen. Häufig ist daher das bidirektionale Laden heute durch Steuereinheiten und Software nicht umgesetzt. Bei Wechselstrom (AC), also zum Beispiel dem normalen Haushaltsstrom ist es zudem prinzipiell nicht möglich.

 

WO IST BIDIREKTIONALES LADEN SINNVOLL?

Prinzipiell unterscheiden wir bei den Einsatzgebieten von bidirektionalem Laden zwei Bereiche:

  • Vehicle-to-home
  • Vehicle-to-grid

 

VEHICLE-TO-HOME: FESTSPEICHER-ALTERNATIVE FÜR HAUSEIGENTÜMER?

Bidirektionales Laden ist besonders für Eigenheimbesitzer interessant. Das E-Auto als Stromspeicher kann eine echte Alternative sein: Steht das E-Auto also tagsüber nur und ist mit dem Strom verbunden, können die Solarzellen auf dem Hausdach überschüssigen Strom, der nicht direkt verbraucht wird, im Auto-Akku einlagern. Wenn nachts keine Energie mehr gewonnen wird, kann ein kompletter Haushalt problemlos über mehrere Stunden mit der Batterieladung des Autos versorgt werden: TV, Licht, Küche – alle Verbraucher im Haushalt gemeinsam sind dennoch keine Herausforderung für eine durchschnittliche E-Auto-Batterie mit 40 Kilowattstunden Kapazität und mehr. Diese Art der Nutzung nennt sich Vehicle-to-home oder kurz V2H.

Beitragsgrafik für Vehicle-to-home

„Wer seine E-Auto-Batterie so nutzt, kann die Lebensdauer beeinflussen. Es ist nicht immer einfach zu sagen, ob positiv oder negativ“, gibt unser Experte Claudius Jehle vom Batteriediagnoseunternehmen volytica zu bedenken. Die Herstellergarantie für den Akku umfasst zwar häufig acht Jahre – aber nur bei zweckgemäßer Nutzung, also zum Fahren. „Die Batterien sind so ausgelegt, dass sie ihre maximale Lebensdauer bei einem Nutzungsszenario haben, nämlich zumeist bei der die Ladung zu Beginn bei fast 100 Prozent liegt und nur selten unter 30-50 Prozent fällt“, führt Herr Jehle aus. „Bei der Nutzung als Zwischenspeicher für eine Photovoltaik-Anlage und die Verbraucher im Haushalt würde sich die Batterie ganz anders verhalten und könnte schneller Kapazität verlieren.“ Das muss zwar nicht passieren, so Jehle, Hersteller würden solche Szenarien aber erst absichern – oder eben ausschließen. Tesla machte zuletzt Schlagzeilen, als gewisse Vehicle-to-Home-Anwendungen die komplette Garantie der Batterie erlosch. 


Vehicle-to-home kann die Lebensdauer eines E-Auto-Akkus reduzieren.

„Aus Herstellersicht ist das auch verständlich“, erklärt Herr Jehle. „Wenn sie ein Auto verkaufen oder vermieten, wollen sie das Verschleißrisiko des teuersten Ersatzteils, dem Akku, so gering wie möglich halten. Eine neue Batterie kostet den Hersteller viel Geld, wenn sie vor der Garantie ausgetauscht werden muss.“ Geschäftsführer Claudius Jehle muss es wissen: Sein Unternehmen volytica unterstützt Hersteller von Fahrzeugen dabei, den genauen Zustand einer Batterie zu diagnostizieren. Dennoch könnte das Prinzip in den nächsten Jahren Schule machen, wie beispielsweise das PV-Magazine berichtet. Zentral für die Marktreife und den Durchbruch von Vehicle-to-home könnte die Integration bidirektionalen Ladens in die nächste Generation von E-Autos von VW werden.

 

VEHICLE-TO-GRID: Ist das E-AUTO ALS StromSPEICHER FÜRS STROMNETZ REALISTISCH?


Vehicle-to-grid (V2G)
 ist ein ungleich komplexeres Konzept als Vehicle-to-home. Hierbei werden die ans Netz angeschlossenen E-Autos nicht nur als Speicher für das eigene Heim genutzt, sondern als Zwischenspeicher für das gesamte Stromnetz. Ein stark vereinfachtes Szenario erklärt es: Am Vormittag scheint die Sonne und die Photovoltaik-Anlagen und Windkraftwerke speisen Strom ein, am Nachmittag ist es jedoch bewölkt. Der überschüssige Strom des Vormittags könnte nun in den stehenden und angeschlossenen E-Autobatterien zwischengespeichert werden. Am Nachmittag können nun die Batterien der E-Autos angezapft werden, die vollgeladen sind, um Eigenheime, Büros und Fabriken mit Energie zu versorgen. Theoretisch ist es so möglich, das Netz zu entlasten und auf die in Zukunft wachsende Anzahl an Elektroautos vorzubereiten. Nicht wenige sehen hier einen zentralen Baustein der Energiewende

Was so einfach klingt, ist jedoch eine enorme Herausforderung. Für Netzanbieter klingt diese Lösung erst einmal attraktiv: Statt eigene Energiespeicher zu errichten, könnten sie die vorhandenen kleinen Speicher überall auf den Straßen nutzen. Aber was ist, wenn plötzlich 10 oder 20 Prozent der Fahrzeuge losfahren? Wie kann mit einer vorgehaltenen Menge an Energiekapazität gerechnet werden? Claudius Jehle sieht hier noch großen Entwicklungsbedarf: „Diese Dezentralisierung würde wohl dafür sorgen, dass die Energiespeicher außerhalb des direkten Zugriffs der Netzbetreiber lägen. Die grundlegende Idee ist hervorragend, aber mit enormen Herausforderungen in der Umsetzung verbunden. Die Erfassung der verfügbaren Kapazitäten wäre komplex und eine Steuerbarkeit und Planbarkeit nur schwierig und risikobehaftet möglich. Früher oder später wird V2G definitiv kommen, leider ist die Umsetzung alles andere als einfach.“ Interessanter ist derzeit das Konzept, das bereits im praktischen Einsatz ist: Smart Charging. Hierbei wird automatisiert der jeweils günstigste Strom zum Laden genutzt, bspw. von der eigenen PV-Anlage oder aus dem Stromnetz.

Beitragsgrafik für die Funktionsweise von Smart-Charging in der desktop Ansicht
Beitragsgrafik für die Funktionsweise von Smart-Charging in der mobilen Ansicht
Auch VW-Entwicklungsvorstand Thomas Ulbrich sieht noch viel Abstimmungsbedarf, bevor V2G ein ganz normaler Bestandteil unserer Energie- und Mobilitätswende wird. Er geht laut einem Interview mit dem Handelsblatt davon aus, dass noch „etliche Jahre“ vergehen, bis Vehicle-to-grid zum Alltag gehört. Für VW sei es jedoch interessant, „voranzugehen“ und an einem neuen Geschäftsfeld zu arbeiten. In Zukunft könnten Autobesitzer ihre Fahrzeuge als Speicherkapazität an die Netzbetreiber verkaufen oder vermieten und dafür eine Entschädigung erhalten. Das sei auch deshalb attraktiv, so Ulbrich, weil das das Auto so kein überwiegendes „Stehzeug“ mehr wäre, sondern auch beim Parken eine Funktion erfüllen würde.

 

VW arbeitet bereits aktiv an der Unterstützung bidirektionalen Ladens.

 

Bis dahin müssen jedoch noch zahlreiche Hürden abgebaut werden, wie der Verband der Elektroindustrie ZVEI und der Verband der Automobilindustrie VDA in ihrem Positionspapier feststellen:

  • Verteilungsgerechtigkeit: Kostenstrukturen und Netzentgelte müssen so geregelt werden, dass Gruppen & Akteure nicht benachteiligt werden
  • Entwicklung von Anreiz-Systemen wie bspw. attraktive Strompreistarife
  • Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen
  • Wirtschaftliche und technische Voraussetzung für einen dauerhaften Anschluss eines E-Autos ans Netz außerhalb der Ladezeiten

Zuverlässige und flächendeckende Datenkommunikation zwischen den verschiedenen Marktakteuren vom Auto über Ladeinfrastruktur bis hin zu den Verteilnetzbetreibern

 

IST BIDIREKTIONALES LADEN IN DEUTSCHLAND ERLAUBT?

Es ist zumindest nicht verboten. Die Anwendungsfälle sind derzeit aber sowieso noch begrenzt. Für Eigenheimbesitzer ist bidirektionales Laden als Alternative zu einem Festspeicher im Keller zwar attraktiv, bringt jedoch auch Nachteile mit sich. Wenn der E-Auto-Akku so zweckentfremdet wird, kann die Garantie verfallen. Die Batteriekapazität kann schneller sinken und die Batterie im Auto vor Garantieende ausgetauscht werden müssen. Die Kosten dafür trägt dann aber der Autobesitzer.

 

WELCHE VORTEILE UND NACHTEILE HAT DAS BIDIREKTIONALE LADEN?

Das bidirektionale Laden steckt noch in den Kinderschuhen, auch wenn immer mehr Fahrzeughersteller und Wallbox-Anbieter die Möglichkeit dazu bieten. Derzeit ist es zuallererst für Menschen interessant, die eine Photovoltaik-Anlage betreiben und ein eigenes Haus haben. Wie im Abschnitt zu Vehicle-to-home erklärt, kann das E-Auto als Stromspeicher fungieren. So sinnvoll das klingen mag, müssen Sie dabei dennoch einiges berücksichtigen:

Vorteile von bidirektionalem Laden und V2HNachteile von bidirektionalem Laden und V2H
• aus dem „Stehzeug“ wird ein mobiler Festspeicher
• möglicherweise können Sie sich einen Festspeicher zuhause sparen
• ungenutzte Energie bei Sonnenschein kann später verbraucht werden
• wenn das Auto nicht zuhause steht, kann auch keine Energie gespeichert werden
• Ihre E-Auto-Batterie altert wahrscheinlich früher und verliert schneller an Kapazität
• Bei einigen E-Auto-Herstellern verlieren Sie Ihre Garantie bei Nutzung durch V2H
• Nur wenige unterstützende Wallboxen am Markt
• Wallboxen sind vergleichsweise teuer

So praktisch bidirektionales Laden und Vehicle-to-home auf den ersten Blick klingen mag: Aktuell sollten Sie eher noch Vorsicht walten lassen. In den kommenden Jahren werden die Hersteller möglicherweise mit neuen Batteriegenerationen auch ihre Garantien entsprechend erweitern können. Dann wäre das Risiko für Sie voraussichtlich geringer und die Nutzung Ihres Fahrzeugs durch V2H attraktiver.

 

DIESE VORRAUSETZUNGEN BRAUCHEN SIE ZUM BIDIREKTIONALEN LADEN UND VEHICLE-TO-HOME

Im vorangegangenen Abschnitt haben wir bereits erläutert, für wen und unter welchen Bedingungen Vehicle-to-home und bidirektionales Laden interessant sein könnte. Aber auch technisch müssen zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Ihr Fahrzeug muss über CHAdeMO geladen werden
  2. Ihre Wallbox muss bidirektionales Laden unterstützen

 

WELCHE FAHRZEUGE UNTERSTÜTZEN DAS BIDIREKTIONALE LADEN?

Beitragsgrafik um verschiedene Steckertypen zum bidirektionalen Laden darzustellen

Prinzipiell sind alle Fahrzeuge zum bidirektionalen Laden fähig, die über ein Kabel mit CHAdeMO-Stecker mit dem Ladepunkt verbunden werden. Dieses japanische Schnellladesystem wird vor allem von Herstellern aus dem asiatischen Raum verwendet:

  • Honda
  • Kia
  • Mazda
  • Mitsubishi
  • Nissan
  • Subaru
  • Toyota

Auch die französischen Fabrikate Citroën Berlingo Electric und der Peugeot Partner Electric sind mit einem CHAdeMO-Stecker versehen. In naher Zukunft sollen auch andere Ladesysteme über Gleichstrom (DC) das bidirektionale Laden unterstützen.

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WELCHE WALLBOXEN UNTERSTÜTZEN DAS BIDIREKTIONALE LADEN?

Die Auswahl von Wallboxen ist groß. In den letzten Jahren sind viele Hersteller auf den Markt gegangen und bieten für jeden Anwendungsfall und alle Bedürfnisse die passende Hardware. Nicht jede Wallbox unterstützt jedoch das bidirektionale Laden. Sollten Sie sich dafür interessieren, müssen Sie beim Kauf einer Wallbox also genau hinschauen. Nur DC-Wallboxen, also jene mit Gleichstromanschluss, sind zum bidirektionalen Laden fähig. AC-Wallboxen sind günstiger und werden deutlich häufiger in Eigenheimen verbaut. Nennenswerte Hersteller sind hier beispielsweise MENNEKES oder Walther-Werke, deren Wallboxen Sie natürlich auch über die SachsenEnergie beziehen können. DC-Wallboxen sind u.a. bei folgenden Herstellern erhältlich:

  • ABB
  • Designwerk
  • myWallbox
  • wallbe

 

FAZIT: HAT BIDIREKTIONALES LADEN EINE ZUKUNFT?

Zum jetzigen Zeitpunkt sind viele Expert*innen noch skeptisch: Die Rechtslage ist nicht geklärt, Auto- und Batteriehersteller haben häufig kein Interesse an bidirektionalem Laden und auch die Netzbetreiber halten sich noch zurück. Auch wenn viele vor allem asiatische E-Auto-Modelle das bidirektionale Laden unterstützen, wird es aufgrund der teuren DC-Wallboxen zuhause für die meisten Hausbesitzer vorläufig unattraktiv bleiben.

Perspektivisch könnte sich das jedoch ändern, denn es steckt viel Potenzial im bidirektionalen Laden, in Vehicle-to-home und auch in Vehicle-to-grid. Zusätzliche Speicherkapazitäten könnten bei zunehmender Einspeisung durch Erneuerbare Energie relevant werden. Ob das durch die PV-Anlage zuhause ist, die Solarzellen auf dem Firmengebäude oder für das gesamte Stromnetz – die Akkus von E-Autos können potenziell dabei helfen, das Stromnetz zu stabilisieren und dass Energieüberschüsse nicht verloren gehen. Es lohnt sich also, bidirektionales Laden in den kommenden Jahren weiter zu beobachten.

Ein Beitrag von Marcel Duparré

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